In ein Stammbuch
Zuweilen lese ich die schönen Sachen,
Die feingekritzelt dir im Album stehn,
Und muß, Verzeihung, über manches lachen.
All diese Sprüche werden bald vergehn;
Und alle Namen, die sich unterschrieben,
Sie werden wie das Laub im Herbst verwehn
Und rasch verwirbeln, alle deine Lieben
Vom Herbst des Lebens schnell zum finstern Grabe
Enttaumeln und wie Spreu im Wind zerstieben.
»Zum Frohgedenken« mancher lustige Knabe
Schrieb sich hier ein, seis Liebster oder Bruder;
Es krächzt nach ihnen auch der alte Rabe,
Der gute Vetter Tod, des träges Ruder
Sie langsam steuert durch des Hades Fluten,
Auf Nimmerwiedersehn, so Mann wie Bruder.
In weiter Ferne, tief in Abendgluten,
Ersiehst du einmal noch die längst schon bleichen
In morschen Särgen, und dein Herz wird bluten.
Ich kanns verstehn, daß diese Liebeszeichen
Dir wert sind. Aber laß sie nicht von andern,
Dir gleichgültigen Menschen je erreichen.
Ein Spott ists, wenn von Hand zu Hand sie wandern.
Detlev von Liliencron (Gute Nacht. Berlin 1909, S. 130-132.)
Offenbar war es zu Liliencrons Zeiten noch üblich, dass man eigene Texte ins Stammbuch eintrug.
Bei Angelus Silesius und Christian Morgenstern kann der Spott nicht greifen.
Das "Veilchen im Moose" ist freilich etwas anderes.
Für uns Heutige ist aber bemerkenswert und nicht Spott, was damals von wem eingetragen wurde.